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Der Virialsatz

Einführung

Der Virialsatz beschreibt einen Gleichgewichtszustand eines Systems kollisionsloser Teilchen, die in ausschließlich gravitativer Wechselwirkung miteinander stehen. In seiner einfachsten Form besagt der Virialsatz, daß sich in einem solchen System im gravitativen Gleichgewicht der zeitliche Mittelwert der gesamten potentiellen Energie und der zweifache zeitliche Mittelwert der gesamten kinetischen Energie zu null addieren:

\begin{equation*} \langle E_{\rm pot} \rangle + 2 \, \langle E_{\rm kin} \rangle = 0 \end{equation*}

Für die mittlere kinetische Energie können wir ansetzen:

\begin{equation*} \langle E_{\rm kin} \rangle = \left\langle \sum \limits_{i} \frac{m_{i} v_{i}^{2}}{2} \right\rangle \end{equation*}

Hierin bezeichnet $\langle \ldots \rangle$ den Mittelwert über alle Zeiten, $m_{i}$ ist die Masse des $i$-ten Teilchens und $v_{i}$ der Betrag seiner Geschwindigkeit. Für den Fall, daß alle Teilchen die gleiche Masse $m_{i} = m$ besitzen, läßt sich die Gleichung vereinfachen zu

\begin{equation*} \langle E_{\rm kin} \rangle = \frac{M \langle v^{2} \rangle}{2} \end{equation*}

worin $M$ die Gesamtmasse des Systems darstellt, und $\langle v^{2} \rangle$ das über alle Teilchen und alle Zeiten gemittelte Quadrat der Geschwindigkeitsbeträge sei. Für die potentielle Energie der Teilchen im Gravitationspotential können wir ansetzen:

\begin{equation*} \langle E_{\rm pot} \rangle = {-\mathrm{G}} \, \left\langle \sum \limits_{i,j} \frac{m_{i} m_{j}}{r_{ij}} \right\rangle \end{equation*}

Hierbei seien $\mathrm{G}$ die Gravitationskonstante und $r_{ij}$ der relative Abstand zwischen dem $i$-ten und $j$-ten Teilchen. Wenn wir wieder annehmen, alle Teilchen besäßen die gleiche Masse $m$, so können wir für die potentielle Energie vereinfacht schreiben:

\begin{equation*} \langle E_{\rm pot} \rangle = -\frac{\mathrm{G} M^{2}}{R_{\rm g}} \end{equation*}

wobei $R_{\rm g}$ den sogenannten Gravitationsradius des Systems darstellt, einen über das gesamte System und alle Zeiten gemittelten Radius. Die genaue Größe von $R_{\rm g}$ und somit des Mittelwerts der potentiellen Energie hängt vom speziellen radialen Verlauf der Teilchendichte ab. So ergibt sich beispielsweise für den einfachsten Fall einer Kugel mit homogener Teilchendichte $n$ und Radius $R$:

\begin{equation*} R_{\rm g} = \frac{5}{3} R \end{equation*}

Für den Virialsatz können wir folglich in diesem einfachen Fall schreiben:

\begin{equation*} \langle v^{2} \rangle = \frac{3 \mathrm{G} M}{5 R} \end{equation*}

Diese Form des Virialsatzes wurde allerdings unter einer ganzen Reihe von Annahmen entwickelt, deren Gültigkeit für reale physikalische Systeme im allgemeinen nicht erfüllt sein wird. Zu diesen Annahmen gehören die sphärische Symmetrie des Systems, die konstante Teilchendichte, eine ausschließlich gravitative Wechselwirkung der Teilchen sowie dieselbe Masse aller Teilchen des Systems.

Berechnung der Entfernung einer Gaswolke

Betrachten wir nun eine Gaswolke aus neutralem, atomarem Wasserstoff. Die dreidimensionale Geschwindigkeitsdispersion $\langle v^{2} \rangle$ läßt sich in die beobachtete, eindimensionale Halbwertsbreite der Radialgeschwindigkeitsverteilung $\Delta v$ umrechnen über

\begin{equation*} \langle v^{2} \rangle = \frac{3 \Delta v^{2}}{8 \ln(2)} \end{equation*}

Wenn wir jetzt weiter ansetzen, daß $M = (4/3) \pi R^{3} \varrho$ mit der Massendichte $\varrho = m_{\rm H} N_{\rm HI} / (2 R)$ und der Säulendichte $N_{\rm HI}$, so können wir den Virialsatz in der Form

\begin{equation*} R = \frac{15 \Delta v^{2}}{16 \pi \ln(2) \mathrm{G} m_{\rm H} N_{\rm HI}} \end{equation*}

schreiben. Aus der beobachteten zentralen Säulendichte und der Halbwertsbreite der Geschwindigkeitsverteilung einer Gaswolke können wir also unter der Annahme einer Virialisierung den Radius und somit in Kombination mit dem am Himmel beobachteten Winkelhalbmesser $\vartheta$ die Entfernung des Systems bestimmen. Wenn wir weiter den Anteil $f = M_{\rm HI} / M_{\rm tot}$ der H i-Masse an der Gesamtmasse der Wolke einführen und die Kleinwinkelnäherung ausnutzen, können wir die Entfernung über

\begin{equation*} d = \frac{15 f \Delta v^{2}}{16 \pi \ln(2) \mathrm{G} m_{\rm H} N_{\rm HI} \vartheta} \end{equation*}

berechnen. Bei der Einführung des Massenfaktors $f$ muß allerdings beachtet werden, daß für die Gültigkeit des Virialsatzes die Annahme gemacht wurde, daß alle Teilchen dieselbe Masse aufweisen. Auf Wolken mit einem großen Anteil an beispielsweise dunkler Materie kann die obige Gleichung daher nicht angewandt werden.

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